Ein Pflanzenportrait von Eitel-Friedrich SCHOLZ aus St. Daniel
Bei dem Wort Enzian denkt man zumeist an die wundersam blau blühenden Arten in der montanen bis subalpinen, ja sogar alpinen Höhenstufe der Alpen, wie z.B. an das "Schusternagele", den Frühlingsenzian, an die stengellosen Glocken-Enziane, an den bizarren Fransen-Enzian, den Schnee- oder den Schlauch-Enzian. Wie vielfältig sind jedoch die Farben und Formen der Enzianarten! Da gibt es weiß, gelb, zartviolett, purpurn oder auch bräunlichrot blühende Arten. Manche sind zusätzlich gestreift, punktiert, mit weiß-grünen Zipfeln besetzt oder gar mit Fransen versehen. Einige bilden vielblütige, niedrige Polster aus, manche stecken als stengellose Solitärpflanzen ihre herrlich blauen Trichterblüten aus dem Grün der Matten empor oder lassen ihre glockenbehangenen, hohen, überhängenden Pflanzenstengel im Winde spielen, andere wiederum wachsen zur stattlichen Größe von 1,40 m heran.
Enziangewächse sind mit ihren ca. 1100 Arten über die ganze Erde verbreitet. Ihr Lebensbereich reicht von der Arktis zum Äquator, von der Meeresküste bis zum Hochgebirge, von den trockensten Steppenstandorten bis in das Sumpfland. Von den in Mitteleuropa bekannten ca. 35 Enzianarten ist die Mehrzahl auf die Alpen beschränkt. Auch solche Arten wie z.B. der Schwalbenschwanz-Enzian, der Kreuz-Enzian, der Frühlings- und Schlauch-Enzian, die entwicklungsgeschichtlich dem alpinen Element nicht angehören, sind im Alpenraum stark vertreten, daß man annehmen könnte, es handle sich um hiesige, alteingesessene Arten.
Ein illyrischer König als Namengeber
Nach Dioskurides, dem berühmten griechischen Arzt, Botaniker und bedeutendsten Pharmakologen der Antike, sollen die "Gentiane" = Enziane von dem illyrischen König Gentius (Gentis) um 500 v. Chr. zuerst aufgefunden und nach ihm auch benannt worden sein.
Der König soll die Pflanze auch als Heilmittel gegen die Pest empfohlen haben. Der deutsche Pflanzenname Enzian, vom lat. vom lat. gentiana entlehnt, taucht bereits im 13. / 14. Jhdt. auf. Er bezieht sich damals aber vermutlich nur auf den Gelben Enzian und die verwandten Groß- Enzianarten. Außer diesem allgemein gebräuchlichen Namen setzen sich regional viele volkstümliche Bezeichnungen durch: Enzigan, Genzigan, Jenzen u.a..
Der Gelbe Enzian (Gentiana lutea), Gelb-Enzian, Echter Gelber Enzian, nimmt unter den Enzianen eine gewisse Sonderstellung ein: Mit der goldgelben Farbe der 5 bis 6-zipfeligen Kronenblätter, die fast bis zum Grunde getrennt sind und deshalb auch keine lange Kronenröhre wie bei anderen Enzianarten bilden, mit der stattlichen Größe der Pflanze und ihrem unverzweigten, kräftigen Stengel weit über 1 m hinaus. Die großen, bläulich-grünen Blätter mit ihren 5-7 bogig zur Laubblattspitze verlaufenden Nerven erinnern an den Weißen Germer, der auf ähnlichen Standorten vorkommt. Die Blätter des gelben Enzian sitzen aber - im Gegensatz zum Germer - gegenständig. Außergewöhnlich ist auch die Wurzel des Gelben Enzian: Sie wächst zu einer rübenartigen, armdick und bis zu 1 m lang werdenden zwei- bis 10-köpfigen Pfahlwurzel heran, die bei einer 60 Jahre alten Pflanze ein Gewicht von bis zu 10 kg erreichen kann. Es wundert also nicht, daß der Gelbe Enzian mit dieser außergewöhnlichen Wurzel die Menschen bereits im Altertum auf sich aufmerksam machte und dazu motivierte, ihren Nutzen herauszufinden. Seit Alters her wird der Gelbe Enzian, der Große Enzian, Genziana maggiore, wie ihn die benachbarten Friulaner nennen, medizinisch für Mensch und Tier verwendet. Der 50 bis 120 (140) cm hoch werdende Gelbe Enzian besiedelt kalkreiche Magerwiesen und -weiden, Hochstaudenfluren und Gebüsche in der montanen bis subalpinen, seltener der alpinen Höhenstufe der Alpen. Die Pflanze ist potentiell gefährdet und deshalb vollkommen geschützt.
Welch ein Reichtum an Inhaltsstoffen!
Auch heute noch gilt die Pflanze als "offizinell", als Apotheken-, als Heilpflanze = "Radix gentianae". Fast alle Enziangewächse enthalten Bitterstoffe, Glycoside, welche die Pflanze vor Schnecken aber auch vor dem Verbiß durch das Weidevieh schützen. Der wichtigste Bitterstoff neben den Glycosiden Gentiin und Gentiogenin ist das als "Enzianbitter" bezeichnete Gentiogenin ist das als "Enzianbitter" bezeichnete Gentiopikrin. In der Wurzel gibt es einen gelben Farbstoff (Gentisin), einige Zuckerarten (Gentianose, Sacchrose, Glycose, Lävulose), daneben Pektin, Tannin und ein ätherisches Öl. In der Wurzel des Gelben Enzian wurden auch etliche Hefepilze mit ihren entsprechenden Enzymen festgestellt. Wegen ihres starken Quellungsvermögens wurden die Wurzeln auch zur Erweiterung von Wunden benutzt. Hierauf nimmt H. Bock in seiner Abhandlung über den "Entian" (nachfolgend) Bezug. Ähnlich wie der Gelbe Enzian gelten auch die anderen, in den Alpen beheimateten Hochstauden-Enziane als Arzneipflanzen.
Der Tüpfel-Enzian (Gentiana punctata), auch Punktierter oder falscher Gelber Enzian genannt, wächst auf bodensauren Weiderasen, in Hochstaudenfluren und Zwergstrauchheiden von der obermontanen, subalpinen Region bis in die alpine Höhenstufe hinauf. Die Kronenblätter der Pflanze sind im Gegensatz zum Echten Gelben Enzian blaß-schmutziggelb, mit Punkten, Flecken und kurzen, aufrechten Kronzipfeln versehen.
Der Purpur-Enzian (Gentiana purpurea) hat schmutzig-violette bis bräunlich-purpurfarbene Blütenblätter. Der Kelch ist zweizipfelig und auf der einen Seite fast bis zum Grunde aufgeschlitzt. Die westalpische Pflanze wächst im westlichen Teil Tirols und in Vorarlberg auf frischen Wiesen und Weiderasen, in Hochstaudenfluren, Gebüschen und Zwergstrauchheiden in der obermontanen bis in die subalpine, selten alpine Höhenstufe. Der Purpur-Enzian gilt als potentiell gefährdet.
Der Ostalpen-Enzian (Gentiana pannonica), Braunvioletter Enzian, Pannonischer Enzian, bevorzugt schwach bodensaure Weiderasen, Hochstaudenfluren und Gebüsche in der obermontanen bis subalpinen (alpinen) Höhenstufe. Die Kronzipfel sind trüb-weinrot bis schmutzig-lila. Die Kronenröhre ist meistens aufgehellt. Die Pflanze ist ebenfalls potentiell gefährdet.
Hochstauden-Enziane - seit alters her heilkräftige Pflanzen
Die Wurzeln des Gelben, des Ostalpen- und des Purpur-Enzians waren wohl schon den alten Griechen und Römern als Heilmittel bekannt. Die Altväter der Botanik Hieronymus Bock (1498 - 1554) und Leonhard Fuchs (1501 - 1566) schreiben in ihren berühmten Kräuterbüchern das "Hohe Lied" auf den Enzian und seine Heilwirkung.
Bock 1551: "Die aller gebreuchlichst wurtzel in Germania / ist Entian / dann die wundartzet machen jre meyssel daraus / die gestochene / enge wunden darmit zu erweitteren. So weiß der gemein man kein besseren Tiriak oder magenartznei / als eben den Entian. Dann was sie jnnerlich prestens im leib und magen fülen / vertreiben sie mit Entian / Calmus / oder mit Ingwer. Und geret etwan solche artznei bass / dann hetten sie die gantz Apoteck mit jren sophistischen und Arabischen pilulen ingeschlunden. Was wolt aber daran Hindernus sein / so der Almechtig schöpfer und Artzet / einem jeden land / was es bedarff / genügsam und überflüssig geschaffen hat. Ist nit die Tugend des Entian fast vihe und menschen bekannt? Seind nit etlich Triackerskrämer / die nicht anderst dann Entian und Lorberen sampt etlichen wurtzeln / mit honig vermengt / für Triackers verkaufen? Dem sei nun wie im wölle / so ist Entian ein köstliche Wurtzel für gifft / für hundsbiss ... So ist Entian auch nit so teur als Rhabarbara / man kann aber des Entian weniger dann Rhabarbara enthraten. Darum sie Gott der allmechtig aus gnaden ins Teutschland auch gesetzt hat."
Fuchs 1543: "In Suma / Entian wurtzel vund der safft darvon / zerteilen / reinigen / seubern vn nemen hinweg allerley verstopffung. Seind ein treffentliche Artzney für allerley gifft / vund bekommen seer wol dem schwachen magen."
Kynburg dichtet:"Wann einer ferner hat / Ein' blöd' und kalten Magen / Und er klagt, er könnte nicht / Die Speisen wohl vertragen. / Der nehme dies Gewürz / des Morgen nüchter ein, / So wird von solcher B'schwerd / Er bald befreet sein."
Die Droge Enzian fand und findet auch heute immer noch in Form von Extrakt, Tinktur, Pulver oder Pillen vor allem als Magenmittel Verwendung. Enzian im Frühjahr zusammen mit Kresse und Bibernelle gegessen, gilt als gutes Blutreinigungsmittel. In der Steiermark legte man die großen Blätter als kühlendes, heilendes Mittel auf entzündete Stellen und offene Wunden. Früher war die Pflanze auch gegen Fieber, Gicht, Hysterie, Malaria, Darmparasiten usw. gebräuchlich.
Auch in der Tierheilkunde spielte vor allem das Enzianpulver eine große Rolle bei Magenerkrankungen und Verdauungsstörungen des Weideviehs. Häufig wurde dabei das Enzianpulver mit Haselwurz, Engelwurz, Eber- und Alantwurz gemischt. Diese Mischung wurde auch in "Mast- und Milchpulvern" verwendet.
De Enzawurz'n is a guete Wurz'n - für den Enzerle
In den Alpenländern spielte und spielt der Enzerle, Enzen, Jenzen = Enzianschnaps als Medizin eine bedeutsame Rolle. Aus dem Inntal Tirols ist ein altes Wurzelgräberlied überliefert, in dem die gute medizinische Wirkung des Enzianschnapses vor allem als Magenmittel besungen wird: "Und die Enzawrz'n is a guete Wurz'n, / is a guete Medizin. / Ja, wenn's im Magen drein / oft tuet's recht saggrisch schneid'n / nimm i alleweil a Glaserl ein."
Die Tiroler meinen auch heute noch:
"Wia die Enzianwurzel ist koani so stark!"
Zur Gewinnung des Enzian-Branntweines zerschnitt man die Wurzeln in kleine Stücke, übergoß sie mit Wasser und ließ sie in einem geschlossenen Faß gären, zuweilen 2 Monate lang. Das Faß wurde warm gestellt, oft in den warmen Pferdestall. Nach dem Gärungsprozeß wurde der Wurzelbrei - nach alter Rezeptur - gesotten, ausgepresst und der so gewonnene Wurzelsaft destilliert. Das Erzeugnis erfreute sich als "Schnapsl", aber auch als Universalheilmittel für den "letzen" (kranken) Magen größter Beliebtheit:
"Im 1. Jahr ist er gut, im 3. nobel, vom 12. Jahr an nimmt er's mit jedem sechssternigen Kognak auf!"
Zur Enzianschnaps-Bereitung werden nicht nur die Wurzeln vom Gelben Enzian, sondern auch die etwas kleineren seiner nächsten Verwandten, des Purpur-Enzians, des Tüpfel-Enzians und des Ostalpen-Enzians verwendet. Alle drei Arten sind ebenfalls kniehohe Stauden, die an der Spitze ein paar große Glockenblüten, zuweilen weitere in den Achseln des nächsten Blattpaares tragen. Der Enzianschnaps ist nicht nur in den Alpenländern sehr beliebt, er wurde auch zu einem begehrten "Mitbringsel" aus dem Urlaub in den Bergen und bald "Modeartikel" auch außerhalb der Alpenländer. P. Kohlhaupt gibt an, daß z.B. Münchner Liköfabriken 1930 jährlich bis zu 20.000 kg frische Enzianwurzeln - Waggonladungen aus Tirol, den schweizerischen und italienischen Alpen - zu Enzian-Schnaps und Likör verarbeiteten. Nach einer Veröffentlichung von Boshard (1938) wurde im Jahr 1928 in der Schweiz aus ca. 340.000 kg Enzianwurzeln (hauptsächlich von dem Gelben Enzian und Purpur-Enzian, meistens an natürlichen Standorten ausgegraben) Schnaps destilliert!
So nimmt es kaum Wunder, daß diese begehrten Pflanzen an vielen Standorten völlig ausgerottet wurden. Der bayrische Botaniker Sendtner schreibt in seinen Erinnerungen, daß er in seiner Jugend (um 1830) in der Benediktenwand der Bayrischen Alpen noch durch "Enzianwälder" gegangen sei. Wie sieht es dagegen heute aus!
Dem Enzian widerfuhr ein ähnliches Schicksal wie dem Edelweiß und dem Almrausch - sie wurden "Modeblumen, Renomierobjekte" des Tourismus, der Vereine, der Gastronomie, des Verkehrswesens. Schon frühzeitig erkannte man in verantwortlichen Kreisen die Gefahr, in der sich auch die Enzianarten, vor allem durch das massenhafte Ausgraben der Wurzeln, befanden. Bereits seit 1910 bestand in Wien für alle Enzianarten ein striktes Verkaufsverbot. In Deutschland und Österreich wurden alle blau-blühenden, ausdauernden Enzianarten ab 1920 durch Gesetz vollkommen naturgeschützt. Auch das Ausgraben der Enzianwurzeln der Hochstauden-Enziane wurde später verboten. Heute sind auch sie vollkommen geschützt. Zur Herstellung von Arzneien, Enzianbitter, Enzian-Schnaps und -Likör dürfen heute nur noch kulturmäßig angebaute Pflanzen verwendet werden.
Tragen wir dazu bei, diese zu den auffallendsten Erscheinungen und Pflanzenschönheiten der Alpen zählenden Enziane zu schützen und zu bewahren!
Bibliographie:
Adler et al.; Exkursionsflora von Österreich, 1994
Hegi, Flora Mitteleuropas, Bd. V,3, 1927 / 1966
Knaurs Pflanzenreich, Bd. 3, 1966
Kohlhaupt, Alpenblumen, 1967
Pieper Volksbotanik, 1897
Bock, New kreuterbuch, 1551, Reprint
Fuchs, New kreutterbuch, 1543, Reprint
Verfasser:
Eitel-Friedrich Scholz,
St. Daniel 18
9635 Dellach
Fotos: Sepp Lederer
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