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Primeln – des Himmels Schlüssel

Was wäre der Frühling für einen Naturliebhaber ohne Primeln!? Unter den ersten Blumen des Frühlings leuchten ihre gelben Blüten oft schon aus dem Schnee hervor. Die zarte Blumengestalt regte viele Poeten und Erzähler zu Gedichten, Liedern, Sagen, Legenden und Blumenmärchen an.

Ein Pflanzenportrait von Eitel Friedrich Scholz

„Liebliche Blume,
Bist du so früh schon
Wiedergekommen?
Sei mir gegrüßt
Primula veris!


Leiser denn alle
Blumen der Wiese
Hast du geschlummert,
Liebliche Blume,
Primula veris!

Dir nur vernehmbar
Lockte das erste

Sanfte Geflüster
Weckenden Frühlings,
Primula veris!

Mir auch im Herzen

Blühte vor Zeiten,

Schöner denn all

Blumen der Liebe,

Primula veris!

(N. Lenau)

In einer alten Erzählung erfahren wir:
„Ein Jüngling erforschte in heißem Wissensdurst die Erde und drang so tief in die Geheimnisse ein, wie noch kein Sterblicher vor ihm. Aber viele Fragen brannten doch noch ungelöst in seinem Busen, und er beschloß, den Himmel aufzusuchen, in der Hoffnung, dort die Antwort zu finden. Mit Hilfe der ihm befreundeten Erdgeister schuf er einen Schlüssel, der ihm die Himmelsthüre öffnen sollte, und rüstig stieg er zum blauen Aether empor. Als er auf dem höchsten Berge angekommen war und tief unter sich die Wolken und die Erde liegen sah und nun weiter auf den silbernen Strahlen der Himmmelskörper wandern sollte, überfiel ihn Zittern und Zagen, aber die Sterne winkten ihm zu: nicht zittern, nicht zurückblicken, vorwärts! Und weiter und immer weiter stieg der Jüngling; endlich stand er an der Pforte des Himmels und hob den Schlüssel empor. Da sah ihn der eine Stern vorwurfsvoll an und sagte: Trittst du hinein, so mußt du alles vergessen, die grüne Erde, deine Kindheit, die Geschwister, Vater und Mutter. Da ging ein Beben durch den Leib des Wanderers, sein starrer Blick löste und wandte sich zurück, und mit lautem Schrei stürzt er von der schwindelnden Höhe. Als er von dem jähen Falle erwachte, sah er sich auf der Erde wieder, und die ganze Reise kam ihm wie ein schwerer, wüster Traum vor. In seiner Hand lag eine Blume mit schöner, prächtiger Blüte – die Primel.“
Nach altem Volksglauben besaß man mit dem Himmelschlüssel, einer magischen Zauberpflanze, ein Mittel, geheime Schlösser zu öffnen. Die Blüte der Primel ohne die Blumenblätter ähnelt einem alten Schlosse mit dem Schlüsselloch, die abgezupfte Blumenkrone einem altertümlichen Hohlschlüssel, der gesamte Blütenstand einem Schlüsselbund. Der Volksmund glaubte deshalb, die Götter hätten den Menschen mit dieser Pflanze einen Schlüssel geben wollen, damit sie die in der Erde geborgenen Schätze heben könnten. Aus den alten Sagen sind viele solcher Glückskinder bekannt, die mit Hilfe des Himmelschlüssels verborgene Schätze fanden:

„Im Badischen wurde einst ein Schäfer von einer Jungfrau auf eine Wiese geführt, auf der viele Schlüsselblumen blühten. Mit einer derselben, die ihm von ihr überreicht wurden, öffnete er auf deren Weisung hin eine geheimnisvolle Tür. Doch es zeigten sich keine Schätze, sondern nur drei Kisten mit Schafszähnen. Dem Schäfer gefiel das gar nicht besonders. Nur halb unwillig stecke er einige Hände voll in die Tasche. Über Nacht aber verwandelten sich die Schafszähne in pures Gold. Der glückliche Mann schaute sich nach seinem Schlüsselchen um, das ihm diesen Schatz verschafft hatte; aber, oh Kummer, er hatte es vergessen.“

Eine ähnliche Sage wird aus dem Schwabenland erzählt, in der eine Jungfrau einem Kuhhirten ein silbernes Schlüsselchen zum Erschließen eines Schatzberges schenkte – mit der Weisung, das Beste nicht zu vergessen -. Der Kuhhirte füllte sich die Taschen mit dem Golde des Berges, als die Tür jedoch hinter ihm zufiel, hatte er das Beste, die den Berg aufschließende Blume, vergessen. Früher galt die Schlüsselblume als Symbol der Heilkraft des Frühlings, der Hoffnung und Öffnung des Himmels, auch als Marien-Symbol, da die heilige Jungfrau durch ihren Sohn Jesus Christus den Menschen das Tor zum Himmel aufschließt. Auf Gemälden betrachtet man neben Maria nicht nur Rosen, sondern auch Himmelschlüssel, wie z.B. auf dem Gemälde Garofalos „Madonna in den Wolken“.

Auch um die Namensfindung für die Frühlings-Primel ranken sich viele alte Sagen und Legenden:
„Als Petrus eines Tages erfuhr, daß Unholde sich Nachschlüssel zur Himmelstür angefertigt hätten, erschrak er so sehr, daß ihm sein goldener Schlüsselbund aus den Händen auf die Erde fiel. Petrus ließ die Schlüssel natürlich sofort zurückholen, doch an der Stelle, wo sie gelegen hatten, erwuchsen von Stund´ an wundersame, gelbe Blümlein, die ganz die Form der heiligen Schlüssel angenommen hatten, die Himmelschlüssel.“

In Tirol und Kärnten werden die Blumen noch heute Peterschlüssel genannt. Auf Gemälden wurden sie dem Torwächter des Himmels als Attribut beigegeben. Fast alle Volksnamen im deutschen Sprachraum beziehen sich auf die schlüsselähnliche Gestalt der Blüten: „Slättelblom“ (plattdeutsch), „Karkenslätel“ (Mecklenburg), „Kirkes-Schlötel“ (Niederrhein), „Burgerschlüssel“ (Kärnten). Die Blütenform kommt in den Bezeichnungen „Pluderhose“ (Glatz), „Fraueschüeli“ (Schweiz) zum Ausdruck; an die Blütenfarbe erinnern die Namen „Gelber Scharniggl oder Scharnikel“ (Kärnten), „Eier-Blueme“ (Schweiz, dort auch zum Färben der Ostereier benutzt). Auf die frühe Blütezeit verweisen „Merzebluemli“ (Schweiz) und „Fastenblümel“ (Steiermark).
Botanisch heißt die Echte Schlüsselblume Primula veris (lat. = die Erste im Frühling, der kleine Erstling) oder auch Primula officinalis. Letzterer lateinischer Name des Himmelschlüssels (ahd. „himmelsluzzili“), frei ins Deutsche als Apothekerprimel oder Arzneiprimel übersetzt, öffnete nicht nur, wie in den Legenden beschrieben – den Himmel oder Schatzberge, sondern auch die Pforten zum irdischen Wohlergehen. Da diese Primel in Griechenland nicht heimisch ist, wird sie erst bei den Ärzten und Botanikern des Mittelalters beschrieben:

Die Frühlings-Schlüsselblume ist eine ausdauernde Pflanze mit einer grundständigen Blattrosette. Die eiförmigen, in einen geflügelten Stiel verlängerten Laubblätter haben eine runzelige Oberfläche und einen welligen Rand. Die Blattunterseite, der Stengel und der Kelch sind filzig behaart. Der 5-20 cm hohe Stengel trägt eine endständige, vielblütige, einseitswendige Dolde. Die Blüten sind gestielt, sie haben einen glockenförmigen Kelch, aus dem die goldgelbe, fünfzipflige Krone herausragt. Im Inneren der süßlich duftenden Blüte erkennt man 5 orangegelbe Flecken.

Von den besonderen Kräften der Primeln

Der römische Gelehrte Plinius (23 bis 79 n. Chr.) berichtete in seiner „Historia naturalis“ (XXIV,11,63), daß keltische Priester, die Druiden, die Schlüsselblume, die sie – wie auch die Bunge – Samolus nannten, zur Herstellung eines Getränkes gebrauchten, dessen sie bedurften, um sich in einen euphorischen, begeisterungsfähigen Zustand zu versetzen. Zur Herstellung dieses berauschenden Getränkes wurden außer den Primeln auch Heidelbeeren, Isenkraut, Honig, Moos und Weizen ausgepreßt. Der so gewonnene Saft wurde „durch den Hauch junger Priesterinnen erhitzt bis er qualmte“. Auch für das Pflücken der Schlüsselblumen für dieses Getränk waren ganz bestimmte Gebräuche vorgeschrieben: Der Sammler mußte barfuß gehen, dabei Gebete murmeln, er durfte mit niemandem sprechen und das Kraut während des Pflückens auch nicht anschauen. Das Kraut mußte auch sofort nach dem Pflücken unter den Gewändern verborgen werden.

Auch in Deutschland glaubte man damals, daß die Primeln mit besonderen Kräften ausgestattet seien: Wenn ein Mädchen um Ostern herum eine blühende Primelpflanze fand, so galt sie als Braut. Aus diesem Grunde wurde die Frühlingsprimel „Heiratsschlüssel“ genannt. Junge Mädchen und Burschen, die einen Blick in ihre Zukunft wagen wollten, mußten in der Johannisnacht (vom 23. zum 24. Juni) beim ersten Hahnenschrei einen Himmelschlüssel pflücken und ihn am Morgen unter den Balken der Strebendecke stecken. Blieb er zwölf Tage lang frisch, so heiratete man noch in demselben Jahr.

Schlüsselblumen – „Allerweltsheiler“

Seit alter Zeit gilt der Schlüsselblumen-Tee aus den Blüten als probates Mittel zum Lindern von Kopfschmerzen, die Schlüsselblumen-Blätter als Medizin gegen Husten und Verstopfung, der Tee aus den Wurzeln und den Blättern als schweißtreibendes Mittel. Der alte Name „Frauenschlüssel“ weist darauf hin, daß die Pflanze auch bei Frauenerkrankungen Anwendung fand. Die pflanzenkundige Äbtissin Hildegard von Bingen (1098 – 1179) beschrieb die heilende Wirkung der Pflanze auch bei Schwermut und Depressionen. Der Altvater der Botanik Hieronymus Bock behauptete in seinem „New Kreutterbuch“, 1536: „Das Schlüsselblumenkraut ist warmer und etwas trockener Substanz.“ Er empfahl es gegen alle innerlichen „presten“ (Gebrechen).

„Das gebrannte Wasser davon gibt man schwachen, kranken Menschen, die gar keine Kraft mehr haben und durch langes Siechtum verfallen sind, desgleichen denen, die der Schlag gerührt hat.“

Auch der Arzt und Botaniker Matthiolus (er starb 1577) verordnete es nach Schlaganfällen: „...es bringt die verhaltene Sprache wieder und stärket das Herz.“ Das Mittel wurde damals auch bei rheumatischen Leiden angewendet. Eine große Bedeutung in der Heilkunst erlangte die Schlüsselblume im vorigen Jahrhundert und an der Schwelle unseres Jahrhunderts bei Pfarrer Sebastian Kneipp und dem Schweizer Kräuterpfarrer Künzle. Kneipp hält das in Wein gekochte Schlüsselblumenkraut, besonders aber die Blüten, nach längerem Einnehmen für heilsam bei Gicht und nach Schlaganfällen. Das hohe Lied aller heilsamen Schlüsselblumen, besonders der wohlriechenden, dottergelben, singt Künzle, der das Büchlein „Chrut und Uchrut“ schrieb: „Alle Schlüssel sind heilsam, die auf den Bergen, in den Gärten, auf Wiesen wachsen, die blassen, die gelben und die farbigen.“ Er meint: „Wer einen recht feinen Tee bereiten will, nimmt dazu ganz frische, also ungedörrte Schlüsseli, gießt heißes Wasser daran und läßt sie eine Viertelstunde ziehen, schüttet dann den Tee ab und gibt Zucker dazu. Das ist dann ein herrliches Getränk.“- Fast wie ein wohlschmeckender Fruchtsaft gegen Erkältung und Rheuma. – Pfarrer Künzle rät dem, der das Getränk noch etwas stärker wünscht, einen kleinen Zusatz von Pfefferminze. Über die Wirksamkeit seines „Schlüsselitees“ schrieb er folgendes Verslein:

„S´ Schlüsseli macht Ring im Chopf,

Nimmt d´ Gsüchter mengem arme Tropf,

Macht fry und lostig wie ne Reh;

S´got nüt meh öber de Schlüsselitee!“

Berühmt und begehrt wurde auch Kräuterpfarrer Künzles vortrefflicher Schlüsseli-Likör. Hier sein erprobtes Rezept:

„Man nimmt frische Schlüsseli, also nicht gedörrte, bringt sie in eine große Flasche, gießt dazu ein Viertel Feinsprit (Weingeist) und drei Viertel Wasser, so daß die Blüten zugedeckt sind. Dazu mischt man etwas Pfefferminze oder gewöhnliche Minzen, verkorkt es gut und stellt das Ganze acht Tage an die Sonne. Nach dieser Zeit schüttet man die Flüssigkeit ab und mischt dazu Zucker und zwar pro Liter ein Pfund. Dann ist der Likör fertig und übertrifft an Feinheit und Güte den weltberühmten Scharrtrös (Chartreuse). Zehnfach mit Wasser verdünnt, gibt es einen angenehmen Tee. Älteren Leuten, die oft an Rheumatismus leiden, ist dieser Likör eine herrliche Medizin. ...“

Sowohl in der Homöopathie als auch in der wissenschaftlichen „Schulmedizin“ unserer Tage wird die Heilkraft von Primula officinalis immer noch geschätzt. In der Homöopathie gelten Essenzen aus den heilkräftigen Blüten als wirksames schmerzlinderndes Medikament bei halbseitigen Kopfschmerzen (Migräne), bei Gicht und Gelenkrheumatismus. Flores Primulare = Primelblüten und Radix Primulae = Schlüsselblumenwurzeln, die als wirksame Inhaltsstoffe Saponine, Glycoside und Spuren von ätherischem Öl enthalten, oder Tinktura Primulae (Tropfen) werden zur Erzielung einer starken expektorierenden (Auswurf fördernden) Wirkung bei formen der Bronchitis verwendet. Primeln sind darüber hinaus in vielen Spezialpräparaten enthalten, u.a. in Hustensäften, Hustentropfen und Bronchialtees. Die Heilwirkung beruht auf dem Wirkstoff Primulin (Cyclamin), eines zu den Saponinen zählenden Glycosides. Die berühmte Hildegard von Bingen schrieb, daß ein aus den Wurzeln bereitetes Pulver der „Hymelslozel“, die am St. Walpurgistag (30. April) vor Sonnenaufgang gepflückt wurden, ein hervorragendes Heilmittel für erkranktes Vieh sei. Mancherorts wurde früher aus den jungen Blättern der Frühlings-Schlüsselblume ein Salat oder eine Kräutersuppe bereitet.

Weitere Primelarten

Die Gattung Primula umfaßt gegen 300 Arten. Von den zahlreichen Unterarten sind in Mitteleuropa nur drei vertreten:

1. die Vernales, die frühlingsprimelartigen mit insgesamt 8 Arten, darunter Primula veris, Primula elatior und Primula acaulis,

2. die Farinosae, die Mehlprimelartigen mit etwa 24 Arten,

3. die Auricula, die Aurikelartigen, zu denen alle übrigen 21 Primelarten, darunter auch die schöne Alpen-Aurikel, gehören.

Die Hohe Schlüsselblume (Primula elatior s. str.), blüht in Österreich im März bis Mai zerstreut auf frischen Wiesen, in Auwäldern, lichten Waldungen und in Hochstaudenfluren der collinen bis subalpinen Höhenstufe. Sie bevorzugt feuchte Schattenlagen und Nordhänge. In der volkstümlichen Benennung wird die Hohe Schlüsselblume, das „Bodeinerl“, kaum von der echten Schlüsselblume, dem Himmelschlüssel, unterschieden. Die Hohe Schlüsselblume, ebenfalls eine alte, ausdauernde Arzneipflanze, hat einen kräftig entwickelten Wurzelstock. Ihre grünen Pflanzenteile sind mit kleinen Haaren bedeckt. In jungem Stadium rollen sich die runzeligen Laubblätter nach rückwärts ein. Der walzenförmige, eng anschließende Blütenkelch ist scharfkantig, er hat lanzettliche, zugespitzte Zähne. Die Blütenkronen leuchten in einem klaren Schwefelgelb. Im Schlund der Kronenröhre erkennt man grünlichgelbe bis hell orangefarbene Ringe.

Die Erd-Primel (Primula acaulis, Primula vulgaris), wird auch Schaftlose, Stengellose Schlüsselblume, in Kärnten auch Gelbe Scharniggel, genannt. Im Gegensatz zum Himmelschlüssel und zur Hohen Schlüsselblume, deren Blüten auf hohen Blütenstengeln sitzen, ist die nur 5 bis 10 cm hoch werdende Erd-Primel ungestielt, schaftlos. Ihre schwefelgelben Blüten sind daher grundständig, sie entspringen zu mehreren manchmal 25, der Mitte der Blattrose. Im Schlund der Kronenröhre zählt man 5 dreieckige, orangenfarbige Flecken. Die länglichen, vorn abgerundeten Laubblätter sind runzlig. Die Erd-Primel blüht oft bereits im Februar an schneefreien, besonnten Waldrändern, in Laubwäldern und auf Wiesen in der collinen bis montanen Höhenstufe. Die Erd-Primel ist eine typische Pflanze der klimawarmen subozeanen Lagen.

Die Alpen-Aurikel (Primula aurikula) ist eine der schönsten Zierden unserer Bergwelt. Diese schöne Gebirgspflanze ist so beliebt, daß sie schon sehr früh vom Menschen als Gartenpflanze in Kultur genommen wurde. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war sie eine regelrechte Modeblume, für deren Abarten man große Summen zahlte. In England wurden Aurikeln in Glashäusern gezogen, da ihr „Puder“, der mehlige Überzug der ohrenförmigen Laubblätter, keinen Lufthauch vertrug. Der deutsche Kaiser Friedrich Wilhelm III nannte die „gepuderten“ englischen Aurikeln scherzhaft „Hofstaat Ludwigs XIV“. Eine Versendung der sehr empfindlichen Pflanzen war damals sehr schwierig. In dem Buch „Die Blume in Sage und Geschichte“ von V. Stranz, 1875, kann man dazu lesen:

„Ein junger jüdischer Hausierer, der von einem Gärtner beauftragt wurde, eine dieser seltenen Stauden einem reichen Handelsherrn zu bringen, löste die Aufgabe, indem er das Pflänzchen in einen Glaskasten setzte. Der Empfänger war so erfreut über das Geschenk und seine vorzügliche Erhaltung, daß er dem Boten eine ansehnliche Summe vorstreckte. Dieser begründete damit in Amsterdam ein Bankgeschäft und wurde in einigen Jahren ein angesehener Kaufmann.“

Die Alpen-Aurikel hat viele treffliche Volksnamen: „Rickelchen“ (Bergisch), Rikelen (Nordtirol), „Patenigl“ (Tirol), „Flüehblümeli“ (Schweiz, Fluh = Felswand), „Steinblume“, „Gamswurz“ (Bayr. Alpen), „Bergschlösseli“ (Schweiz), „Müllermädeli“ (Sachsen, nach den mehlig bestäubten Blättern), „Schwindelblüh“ (Steiermark, nach dem „schwindelerregendem“ Standort an Felswänden), „Petergstamm“ und „Gelbe Scharniggl“ (Kärnten), „Wilder Speik“ (Tirol), „Gelbes Gamsveigerl“ und „Zolidsch“ (Niederösterreich).

Allgemein wird die Alpen-Aurikel nach ihrer Blattform auch Ohr-Schlüsselblume genannt (lat. auris = Ohr).

Die kalkstete, ausdauernde, 5 bis 25 cm hoch werdende Pflanze blüht im April bis Juni in trockenen Felsspalten, in Gesteinsfluren, aber auch in Polsterseggenrasen der obermontanen bis alpinen Höhenstufe. Die Pflanze verankert sich im Untergrund mit einem kräftigen, oft verzweigten Wurzelstock. Die ganze Pflanze ist mit kurzen Drüsenhaaren bedeckt. Der kräftige Stengel trägt eine einseitswendige, vielblütige Dolde. Wunderschön sind die bis zu 25 mm breiten leuchtend gelben Blüten mit ihren trichterförmig ausgebreiteten Kronlappen und dem glockenförmigen Blütenkelch. Eine Zierde der Pflanze sind die dunkel- bis graugrünen, grundständigen, mehlig bestäubten Laubblätter. Diese fleischigen, meist etwas entfernt gezähnten Blätter umgibt ein deutlicher Knorpelrand. Von den Alpen-Aurikeln gibt es viele Unterarten.

Die ganze Aurikel-Pflanze hat wirkstoffhaltige Pflanzenteile. Zu den Hauptwirkstoffen in der Wurzel gehören Saponine, darunter das giftige Primin, und Öl; im Kraut finden sich u.a. Myrisetin, Cyanin und Kämpferol, im weißlichen Mehlstaub ein Flavon. Die Berührung der Pflanze kann bei manchen Menschen Hautrötungen und Bläschenbildung, Dermatitis, hervorrufen. Auch die Alpen-Aurikel ist eine alte Heilpflanze. Darauf weisen viele alte Volksnamen hin. Das „Schwindel-, Rausch-, Kraftkraut“, „Sanikel“, „Bruchkraut“, „Heil aller Schäden“ wurde als Wundkraut gegen Lungengeschwüre und Husten, auch gegen Hautunreinheiten benutzt. Ein Tee aus den „Flühblumen“ (Felsblumen), die man an Christi Himmelfahrt sammelte, sollte gegen die Fallsucht helfen. Die „Fastenblume“, am Walpurgistag (30. April) vor Sonnenaufgang gepflückt, wurde zu einem Heilpulver gegen allerlei Viehkrankheiten verarbeitet. Weit verbreitet war der Volksglaube, daß das „Gamsbleaml“, das man einst als Zeichen bergsteigerischen Mutes und Könnens am Hute trug, oder seiner Liebsten als Zeichen der Liebe und Zuneigung schenkte, nicht nur den Kletterer und Gamsjäger, sondern auch die Gemsen schwindelfrei machte.

Alle Primelarten, darunter auch die beliebte Alpen-Aurikel, sind selten geworden und stehen deshalb unter Naturschutz!

Tragen auch wir dazu bei, die Primeln, die uns als leuchtendes Symbol den Frühling „aufschließen“ und unsere oft trüben Wintergedanken vertreiben helfen, zu schützen und zu bewahren.

„Ich bin der Schlüssel zur Tempelpracht,

Die Blume öff´n ich in warmer Nacht,

Erschließe die Herzen zu Jubel und Wonne

Im goldenen Strahle der Frühlingssonne.“

Bibliographie:

Adler, Oswald, Fischer, Exkursionsflora für Österreich, 1994

Beuchert, Symbolik der Pflanzen, 1995

Braun, Heilpflanzen-Lexikon für Ärzte und Apotheker, 1974

Kohlhaupt, Alpenblumen, 1967

Kneipp, Das große Kneipp-Buch, 1921

Künzle, Chrut und Uchrut, 1912

Piper, Volksbotanik, 1897

Roth, Daunderer, Kormann, Pflanzengifte Giftpflanzen, 1994

Schöpf, Zauberkräuter, 1986

Sieg, Gottsegen der Kräuter einst und immerdar, 1936

Verfasser:

Eitel-Friedrich SCHOLZ

St. Daniel 18

A-9635 Dellach/Gail

 

Foto: Sepp Lederer